Oper von Christoph Willibald Gluck in einer Bearbeitung von Oper vor Ort
Premiere am 02.09.2023 Kletterhalle St.Gallen
Im September 2023 stieg der berühmte Sänger der griechischen Mythologie in die Abgründe der Unterwelt und versuchte, mit seiner verstorbenen Gattin Eurydike an die Oberwelt zurückzuklettern.
In der Kletterhalle St.Gallen war eine besondere Fassung von Christoph Willibald Glucks Orpheus und Eurydikezu erleben.
Zur Inszenierung
Als ich zum ersten Mal in die Kletterhalle St. Gallen kam, habe ich die Setzung der Oper-vor-Ort-Crew, hier Orpheus und Eurydike zu spielen, sofort verstanden. Gross und mächtig stand das Tor zur Unterwelt vor uns. Wenn die Orfeen dieses Tor betreten wollen, schrumpfen sie im Verhältnis zur Raumhöhe. Ein solcher Effekt, ohne ein riesiges Bühnenbild bauen zu müssen, ist ein Geschenk für eine Inszenierung. Und wie nutzen wir den Raum hinter dem Tor? Kann dort ein paradiesischer Irrgarten sein, aus dem die Orfeen Eurydike herausführen wollen? Können wir das Seil, das in der Kletterhalle zu Hause ist, in die Inszenierung einbinden? Wir haben sofort Ideen und zugleich fordert uns die Halle heraus! Wie erzählen wir Trauer in einem nervösen, farbigen Sportraum? Ausserdem stellen sich ganz praktische Fragen: Wo sitzt das Publikum? Wie muss der Dirigent stehen, so dass ihn alle Mitwirkenden sehen können? Wo platzieren wir das Orchester? Was macht die Akustik? Können wir mit Licht den Raum verändern?
Heimliche Hauptfigur von Glucks Oper ist ohne Zweifel der Chor. Wie ein magisches Wesen aus vielen Körpern wechselt er ständig seine Rolle, sein Verhältnis zur Umgebung und zu den Orfeen und treibt so das Stück voran. Mal trägt er die Trauer auf seinen Schultern, mal entführt er Eurydike in die Unterwelt, mal schwelgt er im paradiesischen Garten, mal faucht er die Orfeen an und verweigert ihnen den Zutritt zur Unterwelt, mal schmilzt er als Furien gerührt vom Gesang der Orfeen, mal drängt er zur Happy End. Eurydike und Amor sind mit dem Chor verbunden. Sie nutzen die Kraft seiner Wandelbarkeit. Die Orfeen hingegen stehen dem Chor als Individuen gegenüber, einsam und verloren im Gegensatz zu den Vielen des Chors und zum hohen Raum.
Die Fassung der Oper vor Ort mit zwei Orfeen bietet eine neue Interpretation des Dramas an. Orfeo – bei uns Orfea – und Orphée können als zwei Teile einer Person gelesen werden, oder – vielleicht interessanter – als zwei Geliebte von Eurydike. Beide glauben, den grössten Schmerz der Welt zu haben, als Eurydike stirbt. Sie streiten sich um den Platz des grössten Opfers, bis sie sich gemeinsam dazu aufschwingen, dem Tod zu trotzen. Durch den geteilten Schmerz werden sie zum Duo. In der Inszenierung wollen wir die Spielmöglichkeiten, die sich so ergeben, nutzen. Einerseits wird das Stück tragischer durch die doppelte Trauer und Verzweiflung und zugleich schleicht sich die Komödie unweigerlich in die Kletterhalle ein, wenn alles zweimal gesagt wird. Spätestens wenn die beiden Möchtegern-Held*innen sich in einem 50-Meter-Seil verheddern, hoffen wir, Sie auch zum Schmunzeln zu bringen.
Während Eurydike am Anfang als Tote besungen und betrauert wird, ohne selber aktiv zu sein, übernimmt sie im Verlauf des Abends mehr und mehr das Zepter. Anders als bei Gluck lässt sie sich in unserer Version nicht auf das Happy End mit den Orfeen ein. Sie folgt weder Gott Amor, noch dem Chor, sondern bestimmt ihr Liebesleben mit den beiden Orfeen im Alleingang. Durch diese Wendung rutscht Eurydikes Forderung, „gesehen zu werden“, von der wörtlichen Bedeutung auf eine metaphorische Ebene. In einem nicht enden wollenden Gespräch drehen sich Orfea, Orphée und Eurydike im Kreis, ohne sich richtig zuzuhören, bis Eurydike selbstbewusst einen Schlussstrich zieht.
Die wichtigste Akteur*innen im Stück sind aber natürlich Sie, liebes Publikum: Wie verwandelt sich die Kletterhalle in Ihren Augen, wenn hier eine Oper ertönt? Sehen Sie die Halle dann anders durch das Gehörte? Und was passiert mit der Musik in diesem Raum? Hören Sie die Oper durch das Gesehene neu? Erzählen Sie uns von Ihren Erlebnissen und Erfahrungen nach der Vorstellung!
Mit Christoph Waltle, Barbara Schingnitz, Ursina Leuenberger
Konzept und Organisation Oper vor Ort
Musikalische Leitung Bernhard Bichler
Musikalische Bearbeitung Roman Digion
Regie Dominique Enz
Dramaturgie Barbara Schignitz
Kostüm Emma Zünd
Licht Roger Stieger
Lichtassistenz Sabine Hahn
Fotos Sabine Hahn
Orchester vor Ort
Flöte Nadja Camichel
Oboe Anke Bernardy
Horn Andrew Hale
Violine 1 Oriana Kriszten
Violine 2 Maria Scheidegger
Viola Annette Kappeler
Violoncello Ioanna Seira
Violone Elisabeth Büttner
Cembalo / Korrepetition Ursula Oelke
Chor vor Ort
Sopran Fiorin Kengelbacher, Flurina Klingele, Christina Maier, Daniela Nagel, Liv-Maleen Nagel, Barbara Nef, Ruth Trippel
AltSusanne Althaus, Isabelle Badura, Sabrina Ruess, Fiona Straehl
Tenor Walter Bez, Christian Nagel
Bass Thomas Philipp Heierli, Thomas Hofstetter, Finn-Loris Nagel